KI und der neue Eiserne Vorhang: Europas technologische Herausforderung jenseits von Cookie-Bannern
The English version can be found here: https://0xhagen.medium.com/ai-and-the-new-iron-curtain-europes-technology-challenge-beyond-cookies-c58e965e17d7
Wie zunehmend in den Nachrichten zu lesen ist, nimmt das Europäische Parlament eine entschieden kritische, und mit harter Hand regulierende, Haltung zur KI ein und erschwert potentiellen Marktteilnehmern den Zugang. Als extrem problematisch erweist sich hier der Paradigmenwechsel zwischen althergebrachten Gesetzen (wie denen zum Urheberrecht und zur Haftungsproblematik) un den neuen technologischen Methodologien, auf die Künstliche Intelligenz basiert. Dieser Wandel zeigt sich im Übergang von algorithmischer Sicherheit zu wahrscheinlichkeitsbasierten maschinellen Lernmustern.
Aber was bedeutet das für unsere europäische Zukunft und erst Recht für die Zukunft unserer Kinder, deren soziales Leben tief in der mobilen und Online-Welt verwurzelt ist? Haben wir über die Folgen nachgedacht, wenn dieser digitale Bereich in der EU plötzlich verschwinden würde? Warum diese Gefahr real existiert, möchte ich hier aufzeigen.
Wenn man mit deutschen oder europäischen jungen Gründern spricht, die derzeit an der TUM (München) oder der TU (Berlin) studieren, wird deutlich, dass sie unglaublich gut ausgebildet sind und sich für eine Gründung im Bereich Tech/AI interessieren. Was treibt sie derzeit um?
Sie überlegen sich, ob sie dafür in die USA oder nach Asien gehen sollen.
Europa spielt bei ihren Überlegungen kaum noch eine Rolle, und ein Blick auf unsere Regulierungswut macht deutlich, warum.
Aleph Alpha ist ein Beispiel für den politischen Aufwand, der nötig ist, um hier etwas nach modernen technologischen Mustern aufzubauen. Und um ehrlich zu sein, haben mich ihre Large Language Models nicht wirklich beeindruckt, nicht im Vergleich zu anderen, US-amerikanischen Anbietern. Eigentlich überhaupt nicht.
Aber unsere Regierung kann sich jetzt rühmen,
“Hey, wir haben doch jetzt KI in Deutschland! Sogar mit 500 Millionen gefördert! Das sollte für die nächsten 100 Jahre ausreichen.”
In Anbetracht der Tatsache, dass Europa in der Ära von Web 1.0 und Web 2.0 ins Hintertreffen geraten ist, und der strengen Vorschriften für Web 3, die dessen Verwaltung weitgehend in den Händen der großen Finanzinstitute belassen, ist es eine gewisse Ironie, dass wir eine Verordnung haben, die zu großen, aufdringlichen Hinweiskästen für die Cookie-Einwilligung führt. Dieses Gesetz zielt zwar auf den Schutz der Privatsphäre der Nutzer ab, wird aber oft zu einem auffälligen und etwas umständlichen Aspekt der Online-Erfahrung.
Wir haben kein Google, kein YouTube, kein Snap, kein Facebook, kein Tinder, kein Amazon, kein Twitter, kein TikTok, kein Instagram, kein GitHub, kein NVidia, kein Shopify, und wir werden auch nie eine OpenAI haben.
Das bedeutet, dass die Anwendungen auf den Smartphones unserer Kinder überwiegend von Unternehmen außerhalb der EU entwickelt werden. Diese Unternehmen integrieren zunehmend KI-Komponenten in ihre Dienste. Folglich besteht eine sehr wahrscheinliche Gefahr, dass diese Dienste in der EU entweder gar nicht mehr verfügbar sein werden oder die Nutzer in der Region mit veralteten Software-Versionen zurechtkommen müssen. Diese Situation wäre dann vergleichbar mit der Verwendung von Windows XP in einer modernen Computerwelt.
In der sich immer schneller entwickelnden Welt der Technologie würde das Fehlen von KI-Komponenten in Software und Produkten, einschließlich Autos, Online-Shops, Lieferdiensten wie Lieferando oder Multimedia-Apps wie Spotify, sozialen Medien und Spielen, diese so unattraktiv machen, als würde man einen 14-Jährigen im Jahr 2023 vor ein MS-DOS-6.0-Terminal setzen.
Diese Analogie verdeutlicht einen grundlegenden Konflikt zwischen neu entstehenden technologischen Grundlagen und bestehenden Gesetzen, wie etwa dem Urheberrecht und der Haftung. In der Automobilindustrie beispielsweise hadern traditionelle Hersteller wie Volkswagen mit den Prinzipien des autonomen Fahrens, wie es von Tesla entwickelt wurde, wo statische Algorithmen durch maschinelles Lernen und probabilistische Ergebnisse ersetzt werden. Sie verstehen es schlecht nicht, was dort passiert und warum dies der Fall ist. Und wer dann Schuld ist, wenn etwas schief geht, obwohl kein statischer Algorithmus mehr die Bremse betätigt hat, sondern “gelerntes Verhalten” eines neuronalen Netzwerks.
Dieser Wandel zeigt, dass wir unsere Herangehensweise an Technologie und Gesetzgebung grundlegend überdenken müssen. Wir müssen weg von veralteten Methoden und Denkweisen, die oft durch das Bild von alten Männern symbolisiert werden, die Gesetze mit dem Kugelschreiber verfassen, und hin zu dynamischeren, zukunftsorientierten Strategien, die die Komplexität und das Potenzial von KI-gesteuerten Technologien berücksichtigen.
Solange sich unsere Gesetze nicht an diese sich wandelnden technologischen Grundsätze anpassen, werden sich Technologieanbieter und Entwickler neuer Anwendungen wahrscheinlich weiterhin vom europäischen Markt fernhalten. Diese vorsichtige Herangehensweise ergibt sich aus den potenziellen rechtlichen Komplexitäten und Unsicherheiten in einer Region, in der die aktuellen Vorschriften noch nicht vollständig an die Nuancen der modernen Technologie und der KI-Fortschritte angepasst sind.
Der einzige (sarkastische) Vorteil, den ich mir vorstellen kann, ist, dass Eltern die mobile Nutzung ihrer Kinder einschränken wollen. Das wird natürlich 2024/25 geschehen, zumindest in der Europäischen Union.
Das Hauptproblem für die europäischen Unternehmen wird der Zugang zu den benötigten, technischen AI-Diensten sein, die erforderlich sind, damit die digitalen Anruf-Assistenten der telefonischen Support-Warteschlange nicht in der heutigen Ära der Deutschen Telekom stecken bleiben.
Wenn Sie erwägen, große Sprachmodelle (LLMs) und andere fortgeschrittene KI-Modelle selbst bereitzustellen, müssen Sie mit erheblichen Anfangskosten rechnen: die benötigte Hardware sowie die benötigte Infrastruktur verschlingt Millionen an Euro, pro Monat! Und zwar schon ab Tag 1, auch wenn noch gar kein zahlungskräftiger Kunde akquiritiert wurde.
Ein solches Vorhaben ist ohne umfangreiches Risikokapital oft nicht durchführbar; wiederum eine Ressource, die in der EU aufgrund der bereits erwähnten Probleme weniger leicht verfügbar ist. Infolgedessen sind die Technologieanbieter in Europa gezwungen, für ihren Technologiebedarf auf ausländische Anbieter, vor allem aus den USA, zurückzugreifen.
Wir haben es also mit dem Cookie- und Google-Analytics-Problem zu tun, allerdings in einem viel größeren Maßstab!
Deshalb lassen diese US-Anbieter nicht einmal europäische Kunden rein. Darüber hinaus ist es wichtig zu verstehen, dass die bloße Verwendung eines VPNs keine ausreichende Lösung ist. Diese Anbieter verlangen häufig eine Handynummer zur Verifizierung, und leider werden Handynummern mit Sitz in Europa in der Regel nicht akzeptiert. Diese zusätzliche Verifizierungsebene per Telefon/Mobilfunkanschluß unterstreicht die Komplexität und Tiefe der Zugangsbeschränkungen, denen europäische Nutzer in der modernen digitalen Welt ausgesetzt sind.
Als Beispiel dient oben ein Screenshot von claude.ai, übrigens der ernstzunehmendste Konkurrent zu OpenAI. Leider nachwievor für Europäer nicht zugänglich und dies ist vorerst laut Aussagen des Unternehmens Anthropic auch nicht zu erwarten.
Bereits vor über einem Jahr habe ich auf LinkedIn einmal gesagt, dass es zu enormen Konflikten führen wird, wenn eine zentralisierte KI-Ökonomie entsteht, die Länder der Dritten Welt ausschließt.
Da lag ich etwas falsch. Es ist tatsächlich die EU, die ausgeschlossen wird, nicht die Dritte Welt.